Sonntag, 5. Oktober 2014

Eine städtische Woche

Zwei Schweden schichten unzählige Lagen aus Teig, grell gefärbten Marzipan, schwedischen Süßigkeiten in Auto-Form, georgischem Käsebrot, unangenehm farblosem Gelee und Zuckerstreuseln aufeinander. Jeder darf mitschichten, alle sollen mitessen. Das hier ist unser Tiflis, ihr könnt es essen, schmecken, gestalten, zerstören, aufbauen! Was ist Tiflis für dich? Was bedeutet Freiheit für dich? Und hier, nimm doch ein Glas Wein, das ist kostenlos!

Ein Künstler aus Kairo, der nicht als Künstler bezeichnet werden möchte, erzählt mit Hilfe einer schlechten Powerpoint von den Märkten, den nahöstlich anmutenden Basaren Tiflis‘, die er in den letzten Wochen mit Künstlern (die als solche bezeichnet werden wollen) und Anthropologen aus Georgien besucht hat. Ein einzelnes Mitglied der „ersten Rockband Georgiens“ spielt Gitarre. Was ist Raum und wie nehmen wir ihn wahr? Was ist Distanz und wo beginnt sie? Nehmt euch doch noch vom Wein, greift zu, wir haben auch Obst, alles frisch vom Markt, das ist für euch!

Die moderne Fotographie in Polen, vielseitige Strömungen herunter gebrochen auf eine einstündige Präsentation in einer Galerie in einer vergessen Seitenstraße der Altstadt: Hunderte Fotos im Schnelldurchlauf, einige Erklärungen, hängen bleiben natürlich die vielen, teils grotesk hässlichen Aktfotos, Schönheit wird zu schnell vergessen. Taxifahrt. Steinbecks Reise durch die Sowjetrepubliken Russland, Georgien und Ukraine (1947), hier mit Fokus auf Georgien, ausgestellte Fotos in der Galerie einer großen Bankkette. Kostenloser Wein, diesmal in formellen Gläsern, keine Plastikbecher, gehobenes Publikum. Taxifahrt. Eine dieser individuell designten Bars, die in jeder Hauptstadt der Welt gleich aussehen und das gleiche Publikum anziehen, heute aber trotzdem mal Spaß machen. Wo kommst du her, was verschlägt dich hierhin? Name vergessen, spielt keine Rolle, du also auch hier, flüchtige Begegnungen, Dynamik, fliegender Wechsel, Hektik, wie heißt du nochmal?


Ein Kino, das man kennen muss, um es zu finden. Kurzfilme aus Amerika, Georgien, Spanien und so weiter, eine langatmige Kloster- Reportage, geschmackvoll dargestellte Prostitution, eine Kurzgeschichte mit Moral im Park, ein Blitzlicht ins reale Leben einer georgischen Familie. Film, Licht an, Publikumswechsel, lautstark, „Entschuldigung, dass ich Ihnen auf die Füße getreten bin“, Gedrängel, Licht aus, nächster Film. Taxifahrt. Großformatige Leinwände in den Straßen der Altstadt, prämierte Fotographien aus Iran, Ukraine, Deutschland, Amerika, Ukraine, Iran, dem Kaukasus, Iran, Ukraine, fast ausschließlich schwarzweiß, tendenziell deprimierende Schönheit, teils verstörende Hässlichkeit. Fußweg, wenige Minuten. Die neue Bar wird von einer Französin geleitet, heute singt ein französischer Reisender uns Lieder aus Syrien, Indien, Iran, Georgien, dem französischen Mittelalter. Wieder Fußweg, wieder Fotos, von sterbenden Städten der Welt, von sterbenden Menschen, sterbenden Diktaturen oder Demokratien. Heute zahle ich für meinen Wein.

[Ich bin jetzt seit einer Woche wieder Einwohnerin einer Hauptstadt. Nächste Woche beginnt die richtige Uni, bisher galt es: Mitnehmen, was immer es gibt, und gerade geht hier kulturell-künstlerisch ordentlich die Post ab. Oktober ist der Monat für Kultur-Festivals, scheinbar. Großartig!]