Es ist kalt, es regnet, ich bin auf dem Weg nach Hause in
die zwar nicht eben warme, aber trockene Wohnung, stehe eingequetscht in einem
übervollen Bus zu Rushhour und weiß: es sind nur noch zehn Minuten. Falsch
gedacht. In den großen Supermärkten hier wird man von einem freundlichen
Sicherheitsmann am Eingang freundliche geboten, seine mitgeschleppten Tüten in
einem Schließfach einzusperren, damit man seine Einkäufe nicht aus Versehen dort
hineinsteckt und aus Versehen dann nicht bezahlt. Ist an sich sehr super, weil
man dann auch weniger Zeug durch den Supermarkt schleppt. Ist gleichzeitig
ungünstig, wenn man charakterlich eher zu verwirrt & vergesslich als zu organisiert & gewissenhaft neigt. Seit ich das erste Mal die Kombi Freundlicher Sicherheitsmann&Schließfach
hier im Supermarkt sah, war mir eh klar, dass ich da eines Tages unfassbar
wichtige Dinge einschließen, vergessen, und niemals wiedersehen würde.
So geschehen natürlich genau dann, als es nur noch 5 Minuten
durch den kalten, dunklen Regen zu mir nach Hause sind. Ich quetsche mich also
bei nächster Gelegenheit durch Körpermassen, plumpse denkbar unelegant aus dem
Bus, nehme den nächsten zurück, und erblicke in den neuen Körpermassen, mit
denen auch dieser Bus gefüllt ist, bekannte Gesichtszüge. Tbilisi mag größer
sein als Jena, ist aber ähnlich klein wie die Welt an manchen Tagen. Die
bekannte Nase gehört zu einem Kommilitonen aus Litauen, dem ich versuche,
zuzuwinken. Aus Platzmangel entscheide ich mich für ein „Hey, ich kenne dich“-Grinsen,
das wiederum aus Platzmangel gequälter erscheinen mag, als es gemeint ist.
Minuten später, Bus überlebt, wieder auf der kalten, nassen
Straße. Jetzt schnell in den Supermarkt, die riesige Tüte mit wichtigem Zeug
zurückholen, dann nix wie heim. Wenige Schritte, plötzlich kommen mir Locken
links von mir bekannt vor, drehe den Kopf, sage begeistert Keti Hallo, die ich
seit über einem Jahr nicht gesehen habe. Da hat sich der Umweg, das Gequetsche,
das Alles ja gelohnt!
Minuten später, wieder im Bus, diesmal nach der Rushhour,
daher angenehm unüberfüllt, sogar mit Sitzplatz, Premium! Starre nach draußen,
kenne den Weg, die Häuser, die Läden, starre also lieber die Menschen an, die
da draußen so rumlaufen. Erkenne eine Mütze, die Haare, ein Gesicht – Nino! Ich
drinnen, sie draußen, Hallo sagen erweist sich also als schwierig, trotzdem
fühlt es sich so an, als hätte sich der ganze verfluchte Umweg jetzt schon
dreifach gelohnt.
Minuten später, endlich wirklich nur noch wenige Meter von
zu Hause entfernt. Der Gemüsemann ruft fröhlich „Privet!“, ich antworte
fröhlich und kaufe diesmal nichts bei ihm (er ist nur mein zweitliebster
Gemüsemann, liegt aber auf dem ruhigeren Heimweg, darum kaufe ich manchmal dann
doch bei ihm ein). Die Frau im Second-Hand-Laden direkt neben ihm setzt ihr
freundlichstes Lächeln auf (wobei das nicht besonders freundlich ist) und
beginnt, mir die Herbst-Winter-2014-Kollektion anzupreisen (nicht, dass die
gestern anders ausgesehen hätte). Die Männer an der Ecke, die dort immer stehen
und irgendetwas begutachten, tun so, als würden sie mich nicht kennen. Das witzige
Duo im China (ich glaube, jedenfalls asiatisch!)-Imbiss, der vor ein paar
Wochen direkt neben meinem Haus aufgemacht hat, nickt mir zu. Ich „kenne“ sie,
weil ich schon dreimal versucht habe, dort genauso schnell Essen zu kriegen,
wie meine Mitbewohnerin (Nora, das dauert immer nur 3 Minuten, da ist nie
jemand!). Ich war immer auf ganzer Linie erfolglos, weil der gesamte Imbiss
immer dann voll war, wenn ich mit exakt fünf Minuten Zeit dort angerannt kam.
Sie sind witzig, weil es ein stummer chinesischer (ich glaube, jedenfalls
asiatisch!) Koch und ein mitteilsamer georgischer Manager (ich glaube,
jedenfalls arbeitet er dort) ist und sie beide wie ein perfekt eingespieltes
Team wirken. Und vielleicht finde ich den ganzen China/Asia-Imbiss auch
deswegen so lustig, weil genau dort vorher an einem seit Jahren leer stehendem
Ladenlokal schon seit Jahren „fucck Capitalism!“ als unglaublich laienhaftes
Graffiti inklusive Rechtschreibfehler an die Wand geschrieben war und dort jetzt einfach ein weiterer
Konsumtempel eröffnet wurde. Noch lustiger wäre es gewesen, wenn dort „Fucck
Globalisation“ gestanden hätte, denke ich mir immer.
Sekunden später, ich sitze auf meinem Balkon und nicke all
meinen Nachbarn zu, die entspannt auf Nachbarbalkonen sitzen und starren. Sie
lassen sich durch mein Zunicken nicht stören, sondern starren entspannt weiter.
Ich entspanne mich und starre mit. Es ist schön, immer dasselbe und dieselben
zu sehen, wiederzusehen, wiederzutreffen, wiederzuerkennen.
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