Donnerstag, 27. November 2014

Ein Donnerstag im Hause "Dadiani Str. 24a"

9.30, Türklingeln, Lea (eingeladen, ergo angekündigt) steht mit frischem Brot vor der Tür. Es wird geschlemmt, gequatscht, und in Ermangelung besserer Alternativen Instantkaffee getrunken.

9.45, Türklingeln, Metin (bald Mitbewohner, hatte versucht anzurufen, ergo quasi angekündigt) steht vor der Tür. Er kriegt einen Instantkaffee und erzählt fröhlich, dass in 15min der Vermieter kommt, um Dinge zu regeln, und wir dafür dann alle zusammen zum Notar marschieren müssen. Wir nehmen zur Kenntnis und schlemmen schneller.

10.10, noch immer kein Türklingeln, Vermieter verschiebt Treffen auf Nachmittag, Metin wäscht seine Tasse ab und geht wieder.

11.00, wildes Klopfen an der Tür, Polizeibeamter steht (natürlich unangekündigt) da und möchte gerne einen Zensus durchführen. Er darf reinkommen und will eine ganze Weile nicht verstehen, dass ich für sowas echt gar nicht verantwortlich bin, mein Name steht nicht mal im Mietvertrag, offiziell existiere ich in dieser Wohnung (oder diesem Land) gar nicht. Ich verweise ihn an meinen Mitbewohner, der leider grade im Urlaub in Iran ist. Weil er aber schon mal da ist, quatschen der Polizeibeamte und ich noch ein bisschen. Er quatscht, er fragt, ich lüge fröhlich herum und gebe nutzlose Antworten, man weiß ja nie, und die Staatsmacht zu verwirren halte ich im Zweifelsfall für die beste Verteidigung. Nachdem wir neben meinem Geburtstort, meiner Tätigkeit, und allerlei offiziellem Kram auch das Problem, dass ich mit 23 noch ehemann- und kinderlos bin, evaluiert haben, sitzt er weiter fröhlich und bequem im Sessel rum und es dauert eine Weile, bis ich ihn heraus komplimentiert habe. („Haben Sie eigentlich noch Fragen? Nein? Na dann!“)

14.00, Telefonklingeln: „Nora, bist du das?“ „Ja, Herr Vermieter, ich bin’s!“ „Meine Frau wartet auf dich, beim Notar, schnell!“ Entschuldigung, dass ich das bei unserer Gedankenübertragung nicht verstanden habe, sagen Sie mir doch das nächste Mal einfach telefonisch – vorher! –  Bescheid, dass ich Ihre Frau irgendwo treffen soll. Marschiere zum Notar, regele wichtige Dinge, nehme die Frau auf dem Rückweg mit, weil sie noch „etwas erledigen“ möchte in unserer Wohnung. Nun gut.

15.00, unsere Wohnung: Leider sind sowohl ich als auch die Frau zu klein, um das riesige Landschaftsgemälde, das sie aus unserem Wohnzimmer mitnehmen möchte, von der Wand zu nehmen. Wie schade. Ich kann nicht behaupten, dass das Gemälde besonders meinem Kunstgeschmack entspräche oder dass ich eine sehr starke emotionale Bindung dazu aufgebaut habe, aber die weißen Stellen an der Wand häufen sich nun mal und das sieht nicht schön aus!

15.15, Türklingeln, der Vermieter steht vor der Tür, grüßt wie immer freundlich, geht an mir vorbei in die Wohnung, streckt sich, hängt das Landschaftsgemälde ab, winkt noch einmal fröhlich in die Runde und geht. „War das unser Vermieter?“ fragt meine Mitbewohnerin, die seit 6 Monaten hier wohnt. Schön, dass die beiden sich jetzt auch mal gesehen haben, wo sie doch schon in drei Tagen abreist!

15.30, Türklingeln, die Georgischlehrerin kommt und gibt sich wie immer größte Mühe, mir etwas beizubringen.

18.00, Türklingeln, der neue Mitbewohner kommt, um wichtige geregelte Dinge abzuholen.



Wie wäre dieser Tag nur verlaufen, wenn ich nicht ein lotteriger Student wäre und den ganzen Tag zu Hause chillen würde? 

Dienstag, 18. November 2014

Nachhauseweg

Es ist kalt, es regnet, ich bin auf dem Weg nach Hause in die zwar nicht eben warme, aber trockene Wohnung, stehe eingequetscht in einem übervollen Bus zu Rushhour und weiß: es sind nur noch zehn Minuten. Falsch gedacht. In den großen Supermärkten hier wird man von einem freundlichen Sicherheitsmann am Eingang freundliche geboten, seine mitgeschleppten Tüten in einem Schließfach einzusperren, damit man seine Einkäufe nicht aus Versehen dort hineinsteckt und aus Versehen dann nicht bezahlt. Ist an sich sehr super, weil man dann auch weniger Zeug durch den Supermarkt schleppt. Ist gleichzeitig ungünstig, wenn man charakterlich eher zu verwirrt & vergesslich als zu organisiert & gewissenhaft neigt. Seit ich das erste Mal die Kombi Freundlicher Sicherheitsmann&Schließfach hier im Supermarkt sah, war mir eh klar, dass ich da eines Tages unfassbar wichtige Dinge einschließen, vergessen, und niemals wiedersehen würde.

So geschehen natürlich genau dann, als es nur noch 5 Minuten durch den kalten, dunklen Regen zu mir nach Hause sind. Ich quetsche mich also bei nächster Gelegenheit durch Körpermassen, plumpse denkbar unelegant aus dem Bus, nehme den nächsten zurück, und erblicke in den neuen Körpermassen, mit denen auch dieser Bus gefüllt ist, bekannte Gesichtszüge. Tbilisi mag größer sein als Jena, ist aber ähnlich klein wie die Welt an manchen Tagen. Die bekannte Nase gehört zu einem Kommilitonen aus Litauen, dem ich versuche, zuzuwinken. Aus Platzmangel entscheide ich mich für ein „Hey, ich kenne dich“-Grinsen, das wiederum aus Platzmangel gequälter erscheinen mag, als es gemeint ist.

Minuten später, Bus überlebt, wieder auf der kalten, nassen Straße. Jetzt schnell in den Supermarkt, die riesige Tüte mit wichtigem Zeug zurückholen, dann nix wie heim. Wenige Schritte, plötzlich kommen mir Locken links von mir bekannt vor, drehe den Kopf, sage begeistert Keti Hallo, die ich seit über einem Jahr nicht gesehen habe. Da hat sich der Umweg, das Gequetsche, das Alles ja gelohnt!

Minuten später, wieder im Bus, diesmal nach der Rushhour, daher angenehm unüberfüllt, sogar mit Sitzplatz, Premium! Starre nach draußen, kenne den Weg, die Häuser, die Läden, starre also lieber die Menschen an, die da draußen so rumlaufen. Erkenne eine Mütze, die Haare, ein Gesicht – Nino! Ich drinnen, sie draußen, Hallo sagen erweist sich also als schwierig, trotzdem fühlt es sich so an, als hätte sich der ganze verfluchte Umweg jetzt schon dreifach gelohnt.

Minuten später, endlich wirklich nur noch wenige Meter von zu Hause entfernt. Der Gemüsemann ruft fröhlich „Privet!“, ich antworte fröhlich und kaufe diesmal nichts bei ihm (er ist nur mein zweitliebster Gemüsemann, liegt aber auf dem ruhigeren Heimweg, darum kaufe ich manchmal dann doch bei ihm ein). Die Frau im Second-Hand-Laden direkt neben ihm setzt ihr freundlichstes Lächeln auf (wobei das nicht besonders freundlich ist) und beginnt, mir die Herbst-Winter-2014-Kollektion anzupreisen (nicht, dass die gestern anders ausgesehen hätte). Die Männer an der Ecke, die dort immer stehen und irgendetwas begutachten, tun so, als würden sie mich nicht kennen. Das witzige Duo im China (ich glaube, jedenfalls asiatisch!)-Imbiss, der vor ein paar Wochen direkt neben meinem Haus aufgemacht hat, nickt mir zu. Ich „kenne“ sie, weil ich schon dreimal versucht habe, dort genauso schnell Essen zu kriegen, wie meine Mitbewohnerin (Nora, das dauert immer nur 3 Minuten, da ist nie jemand!). Ich war immer auf ganzer Linie erfolglos, weil der gesamte Imbiss immer dann voll war, wenn ich mit exakt fünf Minuten Zeit dort angerannt kam. Sie sind witzig, weil es ein stummer chinesischer (ich glaube, jedenfalls asiatisch!) Koch und ein mitteilsamer georgischer Manager (ich glaube, jedenfalls arbeitet er dort) ist und sie beide wie ein perfekt eingespieltes Team wirken. Und vielleicht finde ich den ganzen China/Asia-Imbiss auch deswegen so lustig, weil genau dort vorher an einem seit Jahren leer stehendem Ladenlokal schon seit Jahren „fucck Capitalism!“ als unglaublich laienhaftes Graffiti inklusive Rechtschreibfehler an die Wand geschrieben war und dort jetzt einfach ein weiterer Konsumtempel eröffnet wurde. Noch lustiger wäre es gewesen, wenn dort „Fucck Globalisation“ gestanden hätte, denke ich mir immer.


Sekunden später, ich sitze auf meinem Balkon und nicke all meinen Nachbarn zu, die entspannt auf Nachbarbalkonen sitzen und starren. Sie lassen sich durch mein Zunicken nicht stören, sondern starren entspannt weiter. Ich entspanne mich und starre mit. Es ist schön, immer dasselbe und dieselben zu sehen, wiederzusehen, wiederzutreffen, wiederzuerkennen.