Dienstag, 28. Januar 2014

Von Internationaler Solidarität und Lokaler Passivität

Ich habe neulich in einer Diskussion, oder einem Gespräch, die Meinung geäußert, dass ich ein Problem darin sehe, wenn wir als Individuen oder auch Gruppierungen hier (in Europa, in Westeuropa, in Deutschland, in Jena, in der Studentenschaft Jena) versuchen, Probleme von „woanders“ zu lösen, über die wir nur dank moderner Kommunikationstechnologie informiert sind und an denen wir demnach höchstens mitfühlend, also indirekt teilhaben.

Ich erinnere mich, dass ich ähnliche Diskussionen schon mal im PoWi-Unterricht in der Schule geführt habe, wo mir wegen dieser Einstellung fehlende Internationale Solidarität vorgeworfen wurde (ich glaube, es ging um die Idee, den Menschen im Irak und Afghanistan die Demokratie näherzubringen, was ich bedenklich fand). Damals wie heute beteiligte ich mich an der Diskussion mit ausgeprägtem Halbwissen, weniger ausgeprägten grundsätzlichen Idealen und Politikverständnis und großer Freude am Diskutieren an sich.

Ich denke immer noch, dass politisches Engagement in erster Linie lokal erfolgen muss, vor allem, wenn man als Individuum agiert. Ich denke auch immer noch, dass man bei seiner Meinungsbildung und bei der Rechtfertigung, warum man selbst durch eine Situationen betroffen ist, immer bedenken muss, in welcher Gesellschaft man sich befindet (in Europa, in Deutschland, in einem der neuen Bundesländer, in der Studentenschaft, oftmals unter Geisteswissenschaftlern, oftmals unter Akademikerkindern). Meine eigene Zuordnung in diesen Bereichen macht es mir beispielsweise schwer, mich mit Problemen von Arbeitern und Aktivisten in Bukarest zu solidarisieren, weil ich dabei immer Angst habe, aus einer gönnerhaften, elitären, arroganten Komfortzone heraus zum Aktivismus und zur Anteilnahme aufzurufen. Anteilnahme an einem Zustand, der mich als Individuum eben nicht direkt betrifft.

Warum ich hier so theoretisch vor mich hinfasele? Erstens ist Prüfungsphase, also bin ich immer auf der Suche nach kreativen und vermeintlich produktiven Prokastinations- Methoden (=bloggen). Zweitens ist in der Ukraine gerade Revolution und immer wieder geistern entsprechende Meldungen meiner ukrainischen (Facebook-)Freunde über meine Timeline, bei denen ich mich frage, ob ich sie „liken“ soll.

Als diese Revolution begann, war ich gerade mit einigen Ukrainern zusammen in einem georgischen Bergdorf auf einem EU-geförderten Seminar. Für mich, als halbwegs politisch interessierten und halbwegs sensations-geilen Menschen, war dies ein Privileg: ich konnte gleichzeitig durch die deutsche Berichterstattung stöbern und mir die Berichte dann live von „Experten“ bestätigen oder zerreißen lassen. Für die drei UkrainerInnen war es schrecklich, weil sie in einem georgischen Bergdorf saßen und „Experte“ spielen durften, während ihre Freunde auf dem Maidan-Square in Kiew ausharrten und dort Gott-weiß-was erlebten.

Vor ein paar Tagen dann hatten eben diese Ukrainer plötzlich alle ein schwarzes Facebook-Profilfoto, was auf mich eine sehr erschreckende Wirkung hatte. Das letzte Mal, dass eine „Nation“ meiner Facebook-Freunde kollektiv schwarz getragen hat, wurden in georgischen Gefängnissen Insassen gefoltert und vergewaltigt. Ich saß damals geschockt vor meinem Bildschirm, dachte „Was ist da nur los?“ und recherchierte wenig erfolgreich in den deutschen Medien. So, wie ich es auch jetzt mit der Ukraine tue, wo die Revolution laut Berichten bereits mehrere Todesopfer gefordert hat. (Die Revolution? Nicht vielleicht die Regierung oder die Polizei?)

Und eben diese Situation, dass ich hier sitze und versuche, herauszufinden, was dort eigentlich los ist, erscheint mir so falsch. Dort.
Und was ist hier los? Weiß ich das? Und wenn ich weiß, was hier los ist, was hier falsch ist, veranlasst mich das dazu, etwas daran zu ändern?
Ehrlich gesagt nicht. Ehrlich gesagt bin ich nämlich auch hier, wo ich ja folgerichtig selber der „Experte vor Ort“ bin, viel zu unsicher und uninformiert und unentschlossen, um Stellung zu beziehen, Meinungen zu bilden, zu vertreten und zu verteidigen.



Am Donnerstag findet an meiner Uni eine Podiumsdiskussion mit ukrainischen StudentInnen statt. Ich werde wohl hingehen, auch wenn ich bis Donnerstag wahrscheinlich immer noch nicht lokal aktiv geworden bin.

4 Kommentare:

  1. "Meine eigene Zuordnung in diesen Bereichen macht es mir beispielsweise schwer, mich mit Problemen von Arbeitern und Aktivisten in Bukarest zu solidarisieren, weil ich dabei immer Angst habe, aus einer gönnerhaften, elitären, arroganten Komfortzone heraus zum Aktivismus und zur Anteilnahme aufzurufen."

    Wohin soll es denn führen wenn man sich nie solidarisiert? Wenn Menschen aufstehen, und sich gegen die bestehenden Verhältnisse auflehnen, kann man sich sehr wohl mit ihnen solidarisieren. Sollte es sogar, wenn man denn der selben Meinung ist. Das Problem der Lokalen Distanz und dem Unterschied in sozialen Verhältnissen macht es natürlich schwierig. Ebenso die Mangelnde Informationen die wir hier erhalten. Trotzdem sieht man die Situation und grundlegende Problematik dieser Menschen und kann diese (bei wohlwollen ) unterstützen. Ebenso kann man Veranstaltungen wie das Sotschi boykottieren um sich so mit den, durch die Regierung geschädigten zu solidarisieren.( Wie es bei der Hundetötung in der Ukraine bezüglich der Em der Fall war) Globale Bewegungen und Solidarität löst etwas aus, erzeugt bei der eigenen Regierung Druck um zu agieren.

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  2. Ja, da hast du schon recht, aber du hast meine wesentliche Punkte, warum es eben MIR schwer fällt, mich mit Bewegungen und Schicksalen, die (zunächst mal geographisch) fern sind, zu solidarisieren: Mangelnde Informationen, das Problem der lokalen Distanz und in gewisser Weise auch die Relevanz der Globalen Solidarität.
    Ich lande bei solchen Gedankengängen wie "Was ist gerade in der Ukraine los und wie stehe ich selbst dazu?" eben oft bei zwei Problemen. Erstens: wieso sollte es relevant sein, wie ich dazu stehe? Zweitens: Woher habe ich meine Informationen und woher nehme ich mir das Recht, Stellung zu beziehen. Und daraus folgend noch Drittens: Ist es nicht bedeutend relevanter, lokal Stellung zu beziehen, selbst Probleme vor Ort zu entdecken (ich glaube, es fällt uns in Deutschland oft leichter, Probleme woanders zu entdecken und wir tendieren oft dazu, die wesentlichen Probleme in Deutschland als "gelöst" zu sehen). und sich eben lokalen Phänomen zu widmen?

    Ich weiß, dass ich es mir in gewisser Weise damit sehr leicht mache - niemals konkret Stellung zu beziehen ist nichts, worauf ich stolz sein könnte, im Gegenteil. Aber man macht es sich eben auch leicht, wenn man sich immer nur mit den Aktionen Anderer solidarisiert und nichts Eigenes tut.

    Das waren die Gedankengänge, die mich eben jetzt ausgelöst durch die Ukraine (und auch mal wieder durch mangelhafte Berichterstattung in den deutschen Medien) beschäftigt haben.

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  3. Ich glaube, dass es manchmal auch Unterstützung von außen geben muss. Gelgentlich muss es Anstöße von außen geben. Dabei muss ganz klar zwischen "Ideen" und materiellen Einfluss unterscheiden. "Ideen" von außen brauchen wir in Deutschland, dass man uns auf lokale Probleme aufmerksam macht (Stichwort Mindestlohn, ging ein nicht nachzuverlässigender Anstoß von der EU aus), und die brauchen natürlich auch die Menschen in der Ukraine. Denn es ist genauso wie hier, dass die einzelnen Individuen in der Ukraine auch nicht den überragenden Überblick haben, du sagst ja selbst, dass du dich zu uninformiert fühlst um in Deutschland selbst Initiative zu ergreifen.
    Was die Menschen dann mit diesen Ideen oder mit der Solidarität anfangen, dass ist ein anderes Thema.
    Was das Thema "objektive" Berichterstattung angeht, gibt es die nunmal nicht. Selbst wenn man in eigener Person in die Ukraine geht, kann man sich sicher sein, danach nicht objektiv entscheiden zu können, denn hinter jeder Berichterstattung stecken persönliche oder andere Interessen. Die Schwierigkeit besteht darin, einem Journalisten "kennen" zu lernen, der grob die eigenen Interessen wie man selbst hat. Das ist möglich in Zeiten von Anonymisierten Netzwerken (Stichwort: Tor), wo kein Journalist Angst zu haben braucht, wegen seiner Meinung belangt zu werden.

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  4. [Hab diesen Kommentar schon zweimal geschrieben und jedes Mal ist das Internet abgeschmiert, das analoge Zeitalter war da irgendwie idiotensicherer, deswegen jetzt kurz und nicht so schön ausformuliert, wie ich's gerne hätte:]

    Ich stimmt dir zu, dass ideeller Input (Nein, nicht Input, sondern im besten Fall Austausch!) oft Nutzen bringen kann. Aber eben nicht immer. Beispiel Ukraine: Dort sind Menschen gestorben, die für "Europäische Werte" auf die Straße gegangen sind. Jetzt kann ich entweder diese Informationen erhalten, den Demonstranten in der Ukraine einen "Ich bin auf eurer Seite!"-Post widmen und fertig. Oder, ich kann mal beginnen zu fragen, was diese ominösen Europäischen Werte eigentlich sind. Ob es die in Europa eigentlich gibt, ob die Werte, die hier gelebt werden, wirklich so erstrebenswert sind. Wenn Diskussionen, die global geführt werden, lokal zu Aktionen führen, DANN finde ich Internationale Solidarität ein sinnvolles Konzept.

    Beispiel Zwei: Letzter Sommer, Taksim-Proteste, Bloccupy, und in Jena eine Soli-Demo gegen Polizeigewalt. Auch da war ich am Anfang skeptisch, eben wegen diesem doch irgendwie passiven Solidaritäts-Gedanken. Aber dann wurden mir auf dieser Demo ganz wesentlich die Augen geöffnet für Prozesse, Situationen hier vor Ort, weil es eben nicht nur darum ging, den türkischen Protestanten zu sagen, dass wir auf ihrer Seite sind, sondern die Diskussionen um Polizei-Gewalt ganz lokal angewandt wurden.

    Anstoß "von außen", aber Aktion von innen eben.

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