Sonntag, 22. April 2012

Mein Name ist Nuga, ich weiß von nichts - mal was über Georgisch

გამარჯობა, როგორა ხარ?

Na, beeindruckt? Ja, die georgische Schrift ist wunderschön, da gibt es keinen Zweifel. Oben das wird übrigens "Gamardschoba, rogora char?" ausgesprochen und bedeutet einfach nur "Hallo, wie geht's?". Das ist die Standartbegrüßung und man beantwortet das dann einfach mit "k'argad, schen?" (Gut, und dir?). Soweit, so gut, so einfach. 

Ich wollte schon sehr lange mal was über die georgische Sprache schreiben, weil ich danach von verschiedenen Leuten immer wieder gefragt werde, also hier ein paar Antworten.

"Ra gkwia?"  - Wie heißt du?
Ja, ich kann ein bisschen georgisch. Ja, ich verstehe schon eine Menge. Aber das heißt nicht, dass die Menge mich versteht. Es gibt da einen Klassiker, der ein gutes Beispiel ist. Ich komme mit einem Georgier ins Gespräch, man fragt irgendwann nach dem Namen. In Georgien gibt es viele Namen sehr, sehr häufig (dazu wann anders mal mehr), ich verstehe die Namen also meist problemlos, weil ich sie auch schon hundertmal gehört habe. Andersrum ist das nicht so einfach. Schon in Deutschland verstehen viele meinen Namen nicht beim ersten Mal (Lora? Laura?), hier ist das noch extremer. Wenn ich also auf die Frage „Ra gkwia?“ mit der deutschen Aussprache von „Nora“ antworte, ernte ich einen verständnislosen Blick. Und aus einem mir nicht verständlichen Grund verstehen alle immer „Nuga“. Deswegen stelle ich mich jetzt manchmal Leuten, die mein Name gar nichts angeht (Stichwort Taxifahrer) einfach schon als Nuga vor.
Wenn ich will, dass sie meinen Namen verstehen, gibt es zwei Möglichkeiten, die ja nach Situation ins Spiel kommen.
a)      Mein Gegenüber spricht Englisch. Dann spreche ich meinen Namen erst mal englisch aus. Falls das nicht hilft, sage ich mein Sprüchlein „Like Norah Jones“ und dann ist die Sache meist klar.
b)      Mein Gegenüber spricht kein Englisch. Dann spreche ich meinen Namen georgisch aus, also mit gerolltem (fake-gerolltem, ich kann das ja nicht) R aus. Dann hellt sich die Miene meist auf und ich bekomme die Antwort, dass das ja auch ein georgischer Name sei, aber hier nur Omas so heißen würde. Ich lächle dann verständnisvoll und sage „Wizi, wizi“ (ich weiß). Ich hab zwar noch nie eine georgische Oma namens Nora getroffen, aber ich kenne auch keine Oma namens Waltraud.

Ist das nicht wie Russisch?
Nö, isses nicht. Als ich letzten April erfahren habe, dass ich nach Georgien gehen werde, dachte ich ja erstmal „Ist das nicht in Russland?“ und all sowas, was eben eigentlich alle denken, die nichts mit Georgien zu tun haben. Und dann habe ich Wikipedia befragt, auf den Link zu „kartuli ena“ (georgische Sprache) geklickt und geschluckt. „Das Georgische gehört mit Mingrelisch, Lasisch und Swanisch zu den südkaukasischen Sprachen. Zur Schreibung der georgischen Sprache wird die Alphabetschrift Mchedruli verwendet, welche 33 Buchstaben besitzt.
Ja wie, nicht slawisch? Ja hä, was ist denn bitte Mingrelisch, Lasisch und Swanisch? Ja was zur Hölle, nicht mal kyrillisch?

Ist das nicht total schwierig mit der Schrift?
Wie gesagt, mein erster Kontakt mit der georgischen Sprache fand bei Wikipedia statt. Im Artikel zur Georgischen Sprache gibt es nämlich einen Link zur „Alphabetschrift Mchdruli“. Als ich darauf klickt, habe ich wiederum geschluckt. Und die Schriftgröße vergrößert und vergrößert und akzeptiert, dass wirklich jeder Buchstabe gleich aussieht.
Die Schreibrichtung der georgischen Schrift ist von links nach rechts.“ Na wenigstens etwas, dachte ich mir.
Ich habe mit dem Üben des Alphabets erst beim Vorbereitungsseminar angefangen und es dann nach etwa zwei Wochen hier in Georgien ganz gut drauf gehabt. Ist ja nicht so, als hätte man früher nicht selbst ständig Geheimschriften erfunden. Und die Schrift ist ja auch wirklich hübsch (und überhaupt ist unsere Schrift viel toller als die von den blöden Armeniern!! – aber zu Patriotismus wollte ich mich auch an anderer Stelle nochmal äußern).
Mittlerweile bin ich natürlich wirklich an die Schrift gewöhnt, schreiben geht sehr schnell, leise lesen auch, vorlesen ist dann schon ein anderes Kaliber, aber es wird immer besser. Es ist sogar so, dass es mir schon schwerfällt, georgische Wörter in deutscher oder englischer Transkription (also gamardschoba anstelle von გამარჯობა) zu schreiben, weils einfach nicht passt, wie ich finde.
Wenn Georgier mitkriegen, dass ich georgisch lesen und schreiben kann, sind sie meist sehr verblüfft und sagen, dass ich ganz, ganz, ganz toll schreiben könnte. Ich vermute, dass es etwa aussieht wie eine typische, runde Kindergrundschulschrift: Leserlich und übertrieben ordentlich, ohne jegliche persönliche Note. Keine Handschrift, sondern ein Kopie, gemischt aus der Handschrift meiner Georgischlehrerin und der Computerdruckschrift, mit ein paar ästhetischen Veränderungen meinerseits.
Ach, georgisch schreiben macht so Spaaaß!!


Lernt man das nicht einfach so nebenbei?
Nä. Echt nicht. Und zwar aus hauptsächlich zwei Gründen:
a)      Ich spreche zu viel Deutsch und zu wenig Georgisch. Ich wohne mit Deutschen und Österreichern (und zeitweise Franzosen) zusammen, spreche also zu Hause Deutsch und Englisch. Ich arbeite als Deutschlehrerin, zusammen mit georgischen Deutschlehrerinnen. Ich spreche also auf der Arbeit überwiegend Deutsch. Viele meiner georgischen Freunde sprechen annähernd perfekt Deutsch, ich spreche also mit ihnen Deutsch. Ich spreche Georgisch, wenn ich einkaufen gehe, Taxi fahre, unterwegs bin. Den Winter über war das vor allem auf Einkaufen und Taxi fahren beschränkt und in Tbilisi braucht man dazu nicht unbedingt Georgisch. „Ich hätte gerne“, „Was kostet das?“, „Ein Kilo Möhren, bitte?“, „Wo ist das Mehl?“, „Haben Sie Eier?“ und „Nach Saburtalo bitte!“ ist ein Vokabular, mit dem man in jedem Land sehr gut zurecht kommt. Und das Vokabular, das ich nach wenigen Wochen locker drauf hatte. Mehr brauchte ich im Winter wirklich nicht. Jetzt ändert sich das ein bisschen, weil wir wieder mehr Ausflüge machen und die Leute außerhalb von Tbilisi meist nur russisch und georgisch können. Es wird also besser.
b)      Georgisch ist eine sau schwere Sprache. Fragt mal einen Linguisten, der wird es euch bestätigen. Es gibt sieben Fälle, gefühlte drei Regeln im Gegensatz zu drei Millionen Ausnahmen, etwa jeden Laut dieser Welt, keinerlei Ähnlichkeit zu Deutsch, Englisch, Latein oder sonstwas, was man im Ohr hat und vor allem einfach keine Menschen, die es lernen und deswegen auch wenige, die es lehren. Ich bin ja jetzt so ein bisschen drin im Metier der Sprachenlehrer und es gibt einfach richtig gut Deutsch-Lern-Bücher, die eine sinnvolle Reihenfolge, was Wortschatz und Grammatik angeht haben. Dasselbe gilt für Englisch, Französisch, Chinesisch und was weiß ich. Aber wenn niemand eine Sprache lernen will, dann weiß eben auch niemand, wie man diese Sprache unterrichtet.
Wir haben uns in den letzten Wochen im Sprachkurs zum Beispiel mit Verben beschäftigt. Unmöglich, das zu lernen, ich sags euch. Selbst, wenn man mühsam eine Konjugation im Präsens gelernt hat, erkennt man das Wort nicht wieder, wenn es in der Vergangenheit auftaucht, geschweige denn, dass man eine Vergangenheitsform selbst bilden könnte.
Jede Vokabel muss man sich einzeln in den Kopf hauen und improvisieren geht einfach nicht, weil eben kein Wort klingt wie irgendwas, was man kennt: mk’lawi heißt Arm,  mk’erdi heißt Brust, kein anderes Körperteil fängt mit mk‘- an. In Französisch kann man immer versuchen, ein lateinisches Wort französisch auszusprechen, hier funktioniert das einfach nicht.
Manche Wörter lernt man auf der Straße, ja, danke, hallo, tschüss. Sonst nichts, und das macht es mühsam.

Geht das in Georgien nicht auch mit Russisch/Englisch/Deutsch?
Jein. Mit Russisch geht es noch am besten, grad bei den Älteren. Früher war das einfach die zweite Muttersprache und deswegen können es die meisten. Die meisten Ausländer, die hier ne Weile sind, machen sich nicht die Mühe, georgisch zu lernen, sondern können Russisch. Ich hatte auch anfangs überlegt, Russisch statt Georgisch zu lernen, aber grad bei den Jüngeren kann man nicht voraussetzen, dass sie Russisch sprechen. Und ich finds auch schöner, die echte Sprache des Landes zu lernen.
Englisch ist hier gerade groß im Kommen, Saakaschwili (seines Zeichens Präsident) steht da ziemlich drauf, man will ja westlich werden. Der momentane Kurs sieht deswegen vor, dass die Kinder schon ab der zweiten Klasse Englisch lernen. Viele der Jugendlichen können also gut Englisch, bei den Älteren sieht das eher mau aus, aber das ist ja in Deutschland nicht anders.
Unerwartet viele Georgier sprechen sehr gut Deutsch. Ich käme nie auf die Idee, in nem Laden auf Deutsch zu bestellen, so viele sind es dann doch nicht, aber ich treffe sehr oft beim Weggehen oder so Leute, die in Deutschland gearbeitet oder studiert haben oder das vorhaben. Ich würde mich nicht auf Deutsch verlassen hier, aber es ist immerhin so verbreitet, dass man im Bus nicht auf Deutsch über andere lästern sollte.

Kartulad izi? - Du sprichst Georgisch?
Stellt euch das in einem Tonfall vor, der vollkommenes Unverständnis und Besorgnis um meinen Geisteszustand gemischt mit ein bisschen Bewunderung ausdrückt. So gehört von Taxifahrern, Verkäufern, 3.-5.-Klässlern und Kollegen.
„K’i, zota zota!“ Stellt euch das in einem Tonfall vor, der einen Hauch Stolz, sehr viel Unsicherheit, Amüsiertheit und auch Genervtheit ausdrückt. Das ist meine Antwort und bedeutet „Ja, ein bisschen.“
Es ist halt nicht üblich Georgisch zu lernen. Taxifahrer finden das tendenziell super und fragen dann nach einem gewissen Schema weiter: Woher kommst du, wie heißt du, was machst du hier, bist du verheiratet…? Das ist ein ziemlich gutes Training für mein Georgisch und mittlerweile bin ich dazu übergegangen, nicht immer dieselben (wahren) Antworten zu geben, sondern Geschichten zu erzählen. Dass ich aus Island komme. Dass ich Nuga heiße. Dass ich verheiratet bin. Das mein Mann Hanswurst heißt. Etc. pp. Interessante Fallstudien, gerade was die Herkunft angeht. Werde das noch weiter prüfen und irgendwann mal eine Statistik veröffentlichen, welches Land am besten ankommt.
Verkäufer glauben mir das nicht und antworten auf Russisch. (Vor allem auf die Frage „Ra r’irs es?“ – Was kostet das?) Dann antworte ich „Ar wizi rusuli, magram wizi zota kartuli“ (ich kann kein Russisch, aber ein bisschen Georgisch). Das glauben sie mir aber immer noch nicht, sondern zücken ihren Taschenrechner und tippen die Zahl ein. Kaum zu glauben, aber wahr, nach über 6 Monaten in diesem Land kann ich doch schon bis 100 zählen, Leute!! Naja, dann sage ich die Zahl auf Georgisch und sie nicken und sagen sie auf Russisch. Dann bezahle ich und sage „Nachwamdis“ (Tschüss) und sie gucken komisch und sagen auf Russisch tschüss. So ist das. Warum auch immer.
3.-5.Klässler finden das ziemlich lustig. Es kommt ja auch sehr überraschend, weil ich anfangs ja kein Wort georgisch konnte und jetzt dann vergleichsweise viel. Wenn sie also nach einer Vokabel fragen (Beispiel „waschli“) und ich statt des Lehrers antworte („Apfel!“), sind sie erst baff und fangen dann an, nur noch Georgisch mit mir zu reden. Ja nee Leute, so gut bin ich dann doch nicht! Wenn ich in einer Klasse zum ersten Mal auf Georgisch was an die Tafel schreiben, klatschen sie immer. Lustig, oder?
Kollegen finden das immer ein bisschen komisch, dass ich Georgisch lerne. Deutsch ist doch viel schöner!! Aber immerhin fragen sie mich mittlerweile schon auf Georgisch, ob ich auch einen Kaffee möchte (Qawa ginda?) und freuen sich, wenn ich auf Georgisch antworte (K’i, mez minda!).


Bist du wahnsinnig?
Fragen mich Georgier, weil ich Georgisch lerne. Ja. Vielleicht. Aber auch wenn es verdammt schwierig ist und auch zu einem großen Grad „sinnlos“ (weil man Georgisch halt ausschließlich in Georgien braucht), es macht halt einfach Spaß. 

Mittwoch, 18. April 2012

Ich war dann mal weg

"Du, habt ihr nächste Woche vielleicht Platz für zwei Leute, ich bekomme Besuch und..."
"Hey, wollen wir uns auf einen Kaffee treffen? Bin gerade in Tbilisi, weil ich Besuch bekomme und..."
"Wie komme ich denn am besten nach Batumi? Habe Besuch und..."
"Könnten wir vielleicht unsere Rucksäcke bei euch abstellen? Kriege Besuch und..."
"Nein, ihr könnt ich nicht besuchen, habe Besuch und..."
"Bin gerade erst wieder gekommen, hatte Besuch und..."

Es ist Frühling, es ist Ostern gewesen (erst in Deutschland, dann in Georgien und der restlichen orthodoxen Welt), es ist Superwetter, es ist Besuchszeit.

So hatte auch ich Besuch: Eine Woche von Solli (Schwester), eine Woche von meiner Mutter.
Und weil ich natürlich die besten Seiten von Georgien zeigen wollte und meine freien Tage auch selbst nutzen wollte, war ich ziemlich wenig innerhalb meiner vier Wände, sondern vielmehr unterwegs im ganzen Land (und den Ländern drumrum). Deswegen hat man länger nichts von mir gehört.
Jetzt sollte ich dann wohl endlich mal über die zwei Besuchswochen berichten.
Hätte, würde, sollte. Hätte, hätte Fahrradkette.

Morgen ist wieder Schule, es gibt eine Millionen Dinge zu erledigen und gerade bin ich auch nicht so im Schreibflash und ohne Schreibflash mag ich meine Post selbst nicht.

Nunja, eventuell kommen also in den nächsten Tagen zwei supertolle Reiseberichte.
Freut euch doch einfach schonmal, so versuchsweise!

Dienstag, 3. April 2012

Von dreien, die nach Westen wollten, und im Norden rauskamen.

"Wie ist Georgien?"
Am Samstag war wieder so ein Tag, wo ich die ganze Zeit „wie georgisch, das gäb’s in Deutschland aber nicht!“ dachte, und das kam so:

„Wenn Nora eine Reise plant…“
Ungefähr Mittwoch: Kommt, wir (Lara, Adriana, ich, werauchimmerwill) fahren Samstag bis Sonntag nach Warzia!
Donnerstag: Man munkelt, in Warzia liegt noch zu viel Schnee, dann ist das doof, kommt, wir (Lara, Lukas, Adriana, Marek, ich, werauchimmerwill) fahren Samstag nach Gudauri und gehen dort im Schnee (sic!)spazieren!
Samstagmorgen: Hm, Lukas ist schon weg, Marek kann nicht, Adriana kommt erst mittags aus Ostgeorgien zurück, das wird doch alles nix. Kommt, wir (Lara, Adriana, ich) fahren nach Ananuri  (was das ist? Ja, keine Ahnung, wir fahren einfach mal hin).

àAuf geht’s nach Ananuri!

„Wenn drei kulturweit-Freiwillige durch Georgien tingeln…“
Als Ort und Zeit feststehen, geht’s also los. Wir treffen Adriana in Didube, einer der Haupt-Marschrutka-Bahnhöfe), dann machen wir uns auf die Suche nach der richtigen Marschrutka. Das ist nicht weiter schwierig, erstens stehen die Orte vorne dran, zweitens fragen einen ständig Leute, wo man hin will und bringen einen dann zur richtigen Marschrutka. Als wir also recht bald in der Marschrutka sitzen, müssen wir unter der Schwachstelle des Marschrutkasystems leiden: Es gibt nämlich keinen Fahrplan, sondern so ein Minibus fährt genau dann los, wenn er voll ist. Das kann bei einem kleinen Ort wie Ananuri auch mal ein Weilchen (anderthalb Stunden) dauern. Da sitzen wir also und warten und sitzen und warten und irgendwann erbarmt sich der Fahrer, loszufahren. In Richtung Norden, die georgische Heeresstraße in Richtung großer Kaukasus. Durch eine wunderschöne Berglandschaft, in der langsam der Frühling erwacht – vermute ich. Sobald wir losfahren, fallen wir alle drei nämlich sofort in den berühmt-berüchtigten Marschrutka-Schlaf. Komatös.
Wir wachen rechtzeitig auf, um das „Restaurant und Hotel Ananuri“ auf der rechten Seite zu sehen. Kurze Zeit später erreichen wir die Festung Ananuri – unser Ziel.

Ein etwas vertrockneter Stausee, eine Ruine, Staub, schöne Altgeorgische Inschriften, morsche Böden, durch die wir fast durchkrachen, ein Verlies, in dem Adriana ihren Wein zwischenlagert…

Ach, sowas kann man schwierig beschreiben. Es ist halt einfach eine schöne Burgruine, aber auch nix, wo man stundenlang spannende Dinge entdecken könnte. Also brechen wir irgendwann auf, hinunter ins Dorf. Im ersten Supermarkt fragen wir nach einem Restaurant, werden jedoch nur auf das, an dem wir ja schon vorbei gefahren sind, verwiesen. Naja, was solls, fragen wir halt gleich auch noch, wann denn überhaupt die letzte Marschrutka zurück fährt. Schwidi saati, sieben Uhr. Sehr gut, haben wir viel Zeit zum essen gehen. Wir marschieren erst mal weiter ins Dorf, wo es aber tatsächlich sonst kein Restaurant gibt. Jetzt den Berg wieder hoch, die Straße zurück, an der Burg vorbei bis zu dem Restaurant? Laufen? Näääh. Daumen raus.

Klappt auch, wie immer hier, sehr gut. Wenige Minuten später sitzen wir eingequetscht zwischen Skiern bei zwei Georgiern im Auto, deren Englisch sehr… bemerkenswert ist. Der Kommentar zu den Skiern: „We went swimming!“ Aha, achso. Der Kommentar, als wir paar Minuten später wieder aussteigen: „Nice to miss you!“. Aha, achso. Dieser Ausflug wird ja immer amüsanter.

Jetzt aber erst mal essen, wir haben ja immerhin schon eine lange Marschrutkafahrt und eine anstrengende Burgbesichtigung hinter uns! Im Restaurant werden wir auch schon freudig erwartet und sofort bis ganz nach oben unters Dach geleitet. Die letzte Treppe steige ich erst mal alleine hoch. Und da stehe ich, in einem winzigen Raum. In dem Raum steht ein Tisch, an dem Tisch sitzen viele alte Männer. Ähäm. Und nun? Etwas verwundert gehe ich die Treppe wieder runter und erzähle dem Typ, der mich hochgeschickt hatte, dass es dort keinen freien Tisch gibt. Antwort: „Achso, ich dachte, ihr gehört dazu, ihr seid doch auch Ausländer!“ Haha, nee, wir sind nicht die drei jungen Mätressen von den gealterten Russen da oben, zufällig nicht:D

Naja, Missverständnis aufgeklärt, kriegen wir also doch unsern eigenen Tisch. Und das Menü. Und weil wir so hungrig sind, bestellen wir halt mal ordentlich, Adriana muss ja das gute georgische Essen kennenlernen: Salat, Brot, Chinkali (Maultaschen), Chatschapuri in verschiedenen Sorten… Erst als wir nach und nach das ganze Zeug gebracht kriegen, dämmert uns, dass es vielleicht ein bisschen viel sein könnte. Ein bisschen sehr viel sogar. Um nicht zu sagen: viel zu viel. Aber hilft ja nix, jetzt ist das Zeug da, dann essen wir es auch. Getreu dem Motto „Immer nur so viel essen, wie mit aller Gewalt reingeht.“ Zwischendurch in dieser Völlerei sondergleichen fragt Adriana mal so nebenbei den Kellner, ob die letzte Marschrutka wirklich schon um 7 fährt (das wäre dann in 45 Minuten). „Nö du, die letzte ist vor ner Viertelstunde gefahren.“ oO „Und was machen wir jetzt?“ „Ich könnte das Paar dahinten fragen, ob sie euch mitnehmen, die kommen aus Tbilisi.“ 

Hm, wir essen erst mal weiter. Und weiter. So lange, bis das „Paar dahinten“ bezahlt und aufsteht und wir uns dringend entscheiden müssen. Also pfeifen wir den netten Kellner herbei, der dann in unserem Namen zu dem Paardahinten geht und mal so anfragt, ob man vielleicht, naja, son paar deutsche Mädels, die zu blöd zum organisieren sind, mitnehmen könnte. Kann man tatsächlich. Wir stopfen und also rein, was noch geht, zahlen so schnell wies geht und rennen dann dem Paardahinten hinterher, klettern in ihr Auto und versinken vor Peinlichkeit im Boden. Das Paardahinten, was jetzt das Paardavorne ist, findet das alles ziemlich lustig, wir auch. So können wir die Rückfahrt bequem im Auto genießen, fallen nicht in den Marschrutkaschlaf und kriegen somit sogar was von der schönen Landschaft mit.

In Tbilisi angekommen bestehen wir darauf, dass das Paardavorne Adrianas Weinflasche als Dank annimmt und fahren erst mal einkaufen. Weil wir leider viel zu viele Bananen kaufen, kaufen wir einfach noch viel zu viel Milch und Eis ein, machen uns Bananen-Milchshake, trinken Wein und warten, bis die Wohnung wieder voll ist, was erfahrungsgemäß nie lange dauert.

Tja, und schon ist wieder ein Samstag rum. Adriana, die bewundernswert reiselustig ist, ist jetzt schon weiter  nach Westgeorgien gezogen, gerade eben ist eine neue Mitbewohnerin eingezogen, ich bin in ein neues Zimmer gezogen (es ist so klein, als würde ich in einem Bett wohnen, aber supergemütlich!) und der Frühling ist in Tbilissi eingezogen. In zwei Tagen wird Solli (Schwester) für ein paar Tage nach Georgien ziehen. Winterstarre überwunden, juchuJ

"Hier siehts ja aus wie in Kuba!" - Rustawi

Ich mag Fotos, aber ich mache nur selten welche. Es gibt Menschen, die können das, die haben ein gutes Auge und eine gute Kamera. Ich habe ein Auge, das bei Führerscheinsehtest durchgefallen ist (zweimal, übrigens) und eine okay-e Samsung-Digicam. Stört mich auch nicht weiter (beides nicht), aber das macht es ein bisschen schwierig, unseren Ausflug nach Rustawi zu beschreiben, eben weil ich keine Bilder habe.
Rustawi ist eine Stadt, die ein bisschen unbeschreiblich und (deswegen) sehr unbeschrieben ist. Der „Reise Know-how“-Reiseführer erwähnt sie, allerdings nur als Punkt auf der Karte. Der englische Reiseführer, den ich habe, erwähnt sie – als Zwischenstation auf dem Weg nach Gardabani, der letzten Stadt vor Aserbaidschan. Aber immerhin steht dort auch, dass es „frequent trains“ gibt und natürlich auch Marschrutkas. Mara (Freiwillige) erwähnte sie, weil dort letztes Wochenende die „Moving Gallery“ stattfand.
Und ich erwähnte sie letzten Sonntag, sobald Lara und Adriana annähernd ausgeschlafen waren, weil ich mit ihnen genau da hin wollte.
Adriana macht dasselbe Programm wie ich, allerdings in Weißrussland, wir kennen sie von den Seminaren und sie ist gerade für zehn Tage hier im Urlaub. Lara war in Istanbul für ein paar Tage und so kamen sie praktischerweise zusammen an (unpraktischerweise mitten in der Nacht und ohne Schlüssel und Handy, aber das ist eine andere Geschichte).
Am Nachmittag wollen wir dann also auf nach Rustawi. Wegen des Hinweises im Reiseführer fahren wir zum Bahnhof, um einen der „frequent trains“ zu nehmen. Ganz so frequent sind die aber doch nicht: Es gibt morgens und abends einen, es ist nur dummerweise Nachmittag. Also gehen wir weiter zum Stadion, wo angeblich Marschrutka abfahren. Und tatsächlich, mit ein bisschen durchfragen klappt das alles, jetzt müssen wir nur noch einen Platz kriegen. Die Georgier sind ja wahnsinnig gastfreundlich. Wenn es um Plätze in der Marschrutka geht, hört der Spaß aber auf! Erst in der zweiten schaffen wir es, uns einen Platz zu erkämpfen. Nach etwa einer dreiviertel Stunde kommen wir an.

Ein großer, recht neuer Platz, ein riesiges schönes Rathaus, Flaggen, moderne Statuen.
Ein großer, etwas vertrockneter Park, verfallen Bänke, bröckelige Wege.
Große, breite Straßen mit hohen Häusern in bunten, jedoch verblassten Farben.

Lara und ich waren ja nun schon in einigen georgischen Städten, aber Rustawi ist irgendwie anders. Die Stadt ist sehr ruhig, wirkt verlassen. Auf den Straßen sieht man fast nur Männer, niemand macht irgendetwas, alle stehen irgendwie nur herum. Und gucken, natürlich, denn wir sind die einzigen Menschen mit hellen Haaren.
Weil wir nicht wissen, wo die „Moving Gallery“ ist (nicht, dass wir wüssten, was es überhaupt ist), machen wir uns zunächst auf die Suche nach einem Restaurant, was seltsamerweise sehr schwierig ist. Normalerweise gibt es überall in Georgien viele Restaurants, hier nicht. Letztendlich fragen wir uns durch und landen in einem recht guten Restaurant, wo wir Adriana erst mal die Raffinessen der georgischen Küche näherbringen. Währenddessen versuche ich verzweifelt, Mara zu erreichen, um herauszufinden, wo die Veranstaltung ist. Irgendwann klappt das auch und wir machen uns auf den Weg. Nachdem wir uns zig Mal verlaufen haben, fragen wir Passanten – zufällig sind sie Hauptorganisatoren der „Moving Gallery“ und wissen natürlich, wo das ist. Nicht nur das, sie besorgen uns auch noch gleich einen Fahrer.
So kommen wir abends bei der „Moving Gallery“ an. Hierbei handelt es sich, wenn ich das richtig verstanden habe, um ein Projekt von EVS-Freiwilligen, von denen es wohl einige in Rustawi gibt. Dieses findet in einem alten Theater statt. Überall hängen (Laien-)Fotos und Bilder, es gibt kleinere Aktionen und schließlich eine artistische Bühnenaufführung. Leider kommen wir so spät, dass wir einen Großteil der Aktion verpasst haben. Im Wesentlich ging es dabei jedoch darum, die Jugendlichen vor Ort kreativ zu animieren, etwas zu tun. die Atmosphäre war super, ein schönes Ambiente, echt gute Darbietungen, teils wirklich gut Bilder.
Am Ende fängt dann noch eine Band an zu spielen, von der wir uns jedoch nur die ersten paar Stücke anhören können, weil wir nicht ganz sicher sind, wann die letzte Marschrutka nach Tbilisi fährt.
Mit einem letzten Blick auf diese blasse, breite, verlassene Stadt machen wir uns also auf den Weg zurück, sind uns aber sicher, dass wir auf jeden Fall nochmal hinfahren werden, Rustawi ist super!

Ich glaube, dass viel von unserer Begeisterung auch daher kam, dass wir einfach keinerlei Idee hatten, was uns in Rustawi und der "Moving Gallery" erwarten würde - so konnten wir ja nur positiv überrascht werden. Ich bin jetzt also offiziell Fan von Reisen zu Orten, über die man nichts weiß. Deswegen haben wir das gleiche dieses Wochenende schon wieder gemacht, aber dazu später mehr!