Mittwoch, 11. Januar 2012

Rein in die Türkei und wieder raus


Wenn ich eine begrenzte Wortanzahl für Istanbul hätte, würde ich mich wohl für Schlüsselbegriffe wie Döner, Sonnenschein, Tee, Meer, Shisha, Dachterrasse, Leute aus aller Welt und vor allem Spaß entscheiden.

Wenn ich ein paar mehr Wörter zur Verfügung hätte, kämen noch Schlägerei, ein paar Regentropfen, seekrank und unzuverlässige Couchsurfer vor.

Weil ich aber mein absolut eigener Chef bin – zumindest in den weiten Welten des Internets und dieses Blogs –, brauche ich mich nicht auf wenige Worte begrenzen und kann einfach mal drauf los erzählen.

Die Idee für eine Istanbulreise hatten Lisa (Mitbewohnerin) und ich schon vor einigen Wochen. Wir wussten, dass wir an Weihnachten nicht nach Deutschland fliegen wollten, und wir wussten, dass wir eigentlich auch nicht in Tbilissi bleiben wollten. Was bietet sich also an? Richtig, fundierte Reiseforschung mit km-Angaben von „Google Maps“, Klimadiagrammen von „Wikipedia“ und den Preisen von „ebookers.com“. Unsere Ideen reichten von der Türkei über Griechenland bis nach Israel – letztendlich machte Istanbul das Rennen: Nicht zu weit weg, nicht zu kalt, und vor allem günstig – eine Busfahrt kostet lediglich 50$, was im Reisebudget eines kulturweit-Freiwilligen durchaus drin ist.
Der Plan stand also, zumindest die Eckdaten waren uns schon früh klar: Mit dem Bus hin (etwa 25 Stunden Fahrt), dann ein paar Tage Couchsurfen, mit dem Bus zurück. Irgendwann erzählten wir den Jungs von unserem Plan und die Reisegruppe verdoppelte sich spontan auf vier hochmotivierte Freiwillige. Wir erweiterten den Plan um „die erste Nacht gehen wir ins Hostel“ und waren ansonsten begeistert von unserer Planlosigkeit.


Am 22.Dezember ging es dann vormittags los: Mit dem Taxi zum Busbahnhof, Verpflegung einkaufen, die grandiose Idee „Komm, wir machen jede Stunde ein Foto von uns“ haben und nach einer Stunde wieder vergessen, „Neger Tarot Sucht“ verbreiten (ich) beziehungsweise bekommen (die anderen drei), Shakira-Musikvideos und wahlweise dreimal hintereinander „Ice Age 3“ oder „Sherlock Holmes“ gucken (jeweils auf Türkisch natürlich), sich Kartentricks von Sitznachbarn zeigen lassen, schlafen und dabei unvorteilhaft fotografiert werden, grandiose Aussichten,... Die Fahrt wurde mit jeder Stunde besser, bis der erste Tag im Bus sich mit einem wunderschönen Sonnenuntergang am Schwarzen Meer verabschiedete.

Am nächsten Tag fuhren wir noch bis mittags weiter – schließlich musste die gesamte Türkei durchquert werden. Kurz vor dem Ziel erreichten wir die mysteriöse Stadt „Izmir/Izmit“, und kurz vor dem Ziel wurde es grau, grauer, am grauesten. Regen. Regen. Regen?! Da hatte Wikipedia uns aber was anderes versprochen! Etwas nass und dementsprechend ungeduldig fielen wir in Istanbul angekommen dann auch gleich auf den ersten „Special Price for you, my friend!“-Kandidaten rein, ein Verkäufer, der uns ein Taxi zum Freundschaftspreis vermittelte. Leider galt seine Freundschaft offenbar eher dem Taxifahrer als uns (was angesichts der Tatsache, dass er uns seit fünf Minuten kannte, ja auch nicht verwerflich ist) – jedenfalls zahlten wir viel zu viel. Kann man ja nicht wissen, dass es in dieser Stadt besser ist, auf ein Taxameter zu bestehen, in Tbilissi macht man das ja auch nicht!
Kurze Zeit später erreichten wir jedenfalls unser Hostel, bezogen unsere Betten im gemütlichsten 20-Betten-Schlafsaal, den ich je gesehen habe, und waren bereit für Türken, Döner und Tee – für Istanbul.

Ich kriege die Tage in Istanbul nun wirklich nicht mehr chronologisch zusammen, wäre aber auch eher uninteressant, denke ich. Also komme ich nochmal auf die Worte vom Anfang zurück:
„Döner, Sonnenschein, Tee, Meer, Shisha, Dachterrasse, Leute aus aller Welt und vor allem Spaß“


Döner? Ohja, aber hallo! Gestern habe ich im „Unnützen Wissen“ der NEON gelesen, dass es in Berlin mehr Dönerbuden gibt als in Istanbul. Ich war in meinem Leben (ein paar) mehr Tage in Berlin als in Istanbul, aber offenbar war ich da jeweils in den falschen Ecken. In Istanbul gibt es nämlich unglaublich viele Dönerbuden und ich fand sie die ersten Tage auch richtig gut. Dazu kommt, dass an jeder Straßenecke frischer Orangen- und vor allem Granatapfelsaft verkauft wird, was ja mal wirklich eine richtig gute Idee ist, die man auch in Tbilissi mal einführen könnte. Nach etwa drei Tagen Döner tauchten wir dann noch in andere Ecken der türkischen Küche ein: Auch Pide, Köfte & Co. konnten überzeugen.

Sonnenschein? Ja, am ersten Tag war es nicht gaaanz so toll. Aber danach hatten wir ausnahmslos jeden Tag super Wetter, es war ein bisschen wärmer als in Tbilissi (ich vermute um die 10°), und am letzten Tag saßen wir stundenlang auf einer Wiese ohne Jacke. In den Weihnachtsferien! Man darf Wikipedia also doch glauben.

Tee? Chai! Eine unserer ersten Erfahrungen war eine spontane Tee-Einladung von einem Ledergeschäftsbesitzer. Okay, eigentlich wollte er uns Jacken verkaufen, aber den Tee bekamen wir trotzdem, obwohl wir uns natürlich keine der „echten“ Lederjacken leisten konnten, nicht mal ansatzweise. Ich finde diese Mentalität „Lass erst mal nen Tee trinken“ richtig angenehm. Wir hatten ja für einen Städtetrip ziemlich viel Zeit und das war echt super, weil wir die gemütliche Mentalität sofort übernahmen und so einige Stunden bei einem Tee/Kaffee/… in Cafés bei einer Runde Neger Tarot verbrachten.



Meer? Jaaa:) Istanbul liegt ja bekanntlich an der Schnittstelle zwischen Schwarzem und Mittelmeer und von unserem Hostel aus war man zu Fuß in fünf Minuten am Meer. Für mich persönlich ist Meer – unabhängig von der Jahreszeit – gleichbedeutend mit Urlaub und eigentlich auch mit Glück, Freiheit und Zufriedenheit. Also nutzten wir das Meer. Ob für Fotosessions, für spontane nächtliche Sprünge in selbiges, für Papierschiffchen fahren lassen, für Spaziergänge, für Weintrinken… Meer kann einfach alles. Ich kann mich in diesem Jahr eigentlich wirklich nicht über einen Mangel an Meer beschweren – ich hatte es in Skandinavien, Frankreich und Italien im Sommer, in Petersburg und Helsinki im Winter und ich hab es auch in Georgien theoretisch nicht allzu weit dahin – aber Meer kann man trotzdem nie genug haben.

Shisha? Lecker! Istanbul hat nicht nur Dönerbuden sondern auch unzählige kleine Bars und Cafés, wo man bei einer leckeren Shisha entspannen kann. In Tbilissi ist das nicht so üblich und auch viel teurer als in der Türkei, also nutzten wir unsere Chance, lernten (einigermaßen vergeblich in meinem Fall) Rauchringe, entspannten, entspannten… und schliefen nach „anstrengenden“ Tagen auf dem Basar auch schon mal in einer besonders gemütlichen Bar ein (okay – das ist natürlich wieder nur mir passiert).

Dachterrasse? Überhaupt Dächer, richtig wichtig in Istanbul. In unserem Hostel konnten wir mit Blick über den Bosporus und die ganze Stadt frühstücken, bei unseren Streifzügen durch die Stadt fanden wir ein Hinterhofdach, das einen noch besseren Ausblick bot und schließlich schliefen wir zwei Nächte bei „Shorty George“, einem Couchsurfer und wahrem Retter in der Not, der zwar eine Kellerwohnung, aber dafür eine Dachterrasse hat, die eigentlich die bisherigen Ausblicke noch toppte und perfekt zum Frühstücken und „in Geburtstag rein feiern“ ist. Unsere Terrasse in Tbilissi ist zwar allein schon deswegen gut, weil sie existiert, aber außer für kurze Raucherpausen eher ungeeignet für alles andere. Sie ist klein, wackelig (wie Kai, der vorher hier gewohnt hat, uns zeigte… „das sind Dinge, von denen ich keine Ahnung haben will…“ ;-)), und vor allem laut. Aber hey, Terrasse ist Terrasse und überhaupt, ich schweife ab.

Ich, Lisa, Jasper, Lukas und Pablo aus Argentinien
Leute aus aller Welt? Jap. Das war nämlich so: Wir wollten ja nur für eine Nacht ins Hostel und ich hatte vorher diverse Couchsurfer angeschrieben, und auch einige Zusagen. Spontane Absagen kommen beim Couchsurfen vor und sind immer unangenehm, aber in Istanbul erlebten wir Absagen der ganz besonderen Art: „Meine Schwester hat gestern ihr Kind bekommen und jetzt ist die gesamte Verwandtschaft im Haus!“, „Ich habe mir einen Hund gekauft, der ist wilder als erwartet – geht leider nicht!“ und so beschlossen wir jeden Abend aufs Neue, das Couchsurfen auf den nächsten Tag zu verschieben. Im Hostel blieb irgendwie alles beim Alten, es bildete sich über die Tage eine mehr oder weniger feste Gruppe, bestehend aus Leuten aus den USA, Italien, Argentinien, Libyen, Frankreich… Ich mag es, unterschiedliche Leute kennenzulernen. man trifft auf die verschiedensten Lebensentwürfe, man entdeckt unerwartete Gemeinsamkeiten (der Italiener wollte weiter nach Sofia, ein paar Tage in das alte Künstler-Drogen-Hostel, dass ich 2009 nachts dort zufällig entdeckt hatte), man verbringt die Tage in wechselnder Besetzung, man feiert Weihnachten zusammen…

…und vor allem Spaß! Es war nicht so, dass immer alles klappte, aber wir haben einfach während den Tagen so viele unerklärliche Lachkrämpfe gehabt. Und irgendwie gelernt, dass der Weg zum Spaß manchmal einen Umweg braucht: Es war schon recht später Abend, wir wussten, an welcher Bushaltestelle wir unseren „Host“ für die Nacht treffen sollten. Was wir nicht wussten, ist, dass diese Bushaltestelle 40km Stadtautobahn vom Zentrum entfernt liegt. Aber okay. Dort angekommen riefen wir den Host an, damit er uns abholen sollte. Kleines Problem: Er hatte sein Handy ausgeschaltet. Mittlerweile war es schon gegen Mitternacht, wir hatten kaum noch Guthaben und keine Möglichkeit, ihn zu erreichen. Zum Glück hatten wir uns für alle Fälle noch die Nummer eines zweiten Couchsurfers aufgeschrieben: „Shorty George“, der uns tatsächlich mitten in der Nacht noch aufnahm – und dann gleich für zwei Tage. So kommt man über Umwege zum perfekten Host und eben jeder Menge Spaß.

Grenze zwischen Türkei und Georgien

Jetzt habe ich nicht viel über die Stadt an sich geschrieben, aber für Istanbul gibt es nun wirklich genügend Reiseführer. Genau wie schon Moskau, Petersburg und Helsinki kommt es auf meine „War ich, muss ich nochmal hin“-Liste. Jedoch nicht, weil ich nur kurz da war, es war immerhin eine Woche. Aber Istanbul gehört zu den Städten, wo man hinter jeder Straßenecke noch etwas entdecken kann. Ja, ich habe die Blaue Moschee, die Hagiya Sofia, die Zisternen, die „Asian Side“ und all so was gesehen und auch wirklich schön gefunden. Aber Istanbul ist eine Stadt, wo ich Tage damit verbringen kann, rumzustreunern. Ich habe diesen Sommer viele Hauptstädte besichtig und ich glaube, dass man keine Hauptstadt der Welt in einer Woche „kennenlernen“ kann, sicher nicht. Aber Istanbul ist einfach nochmal eine Spur verwinkelter und überraschender als zum Beispiel Kopenhagen.

Ich merke gerade, dass ich noch ewig weiterschwärmen könnte. Ich könnte auch noch die paar negativen Worte erklären, aber letztendlich überwiegen eh die guten Dinge, also lass ich das mal. Und ich merke, dass dieses Worddokument auf Seite Vier angekommen ist. Ich denke mal, das reicht. Es war ein toller Urlaub, mit tollen Leuten, einer tollen Stadt… Fahrt hin, guckts euch an! 

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